Drucken

Was passiert, wenn Eltern eines behinderten Menschen sterben und der Behinderte erbt?

Zu einem spannenden Vortrag über das Behindertentestament im Kesselhaus der Alsterdorfer Werkstätten war eingeladen.

Sachverhalt:

Eine Familie besteht aus Vater, Mutter, einem gesunden Kind und einem behinderten Kind.

Der Vater stirbt und hinterläßt ein Einfamilienhaus im Wert von 270.000 € und 50.000 € in bar = 320.000 €.
Ohne Testament erbt die Mutter die Hälfte = 160.000 €. Jedes Kind erbt ein Viertel = 80.000 €.

 

Durch ein Behindertentestament soll der Behinderte abgesichert werden und das Familienvermögen erhalten bleiben. Der Behinderte soll vom Status her über Sozialhilfeniveau angehoben werden.

Dabei entsteht eine Kollision: Nachrangprinzip (§2 SGB 12) vs Testierfreiheit (Art. 14 GG)

Wenn das behinderte Kind erbt, greift das Nachrangprinzip. Nachrangprinzip bedeutet: Setze die Erbschaft ein, verbrauche das Vermögen! Der Sozialhilfeträger verlangt, daß das behinderte Kind so lange für sich selbst aufkommt, bis das Erbe verbraucht ist, denn Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst unterhalten kann. Das Schonvermögen beträgt 2.600€.

Die Folge einer „normalen“ Erbschaft sind:

Das eigene Vermögen des behinderten Kindes verschmilzt mit dem geerbten Nachlaßvermögen. Also muß die Erbschaft eingesetzt/verbraucht werden.
Deshalb darf keine Verschmelzung stattfinden!!!

Das „Enterben“ des behinderten Kindes wäre eine falsche Abhilfe.

Ebenso ist das allgemein bekannte „Berliner Testament“ keine Lösung.

Rechtlich anerkannt ist die Gestaltung eines Behindertentestaments, bei dem das Erbe erhalten bleibt, dem Kind der Nutzen aus dem Erbe zugute kommt, es aber selbst nicht über das Erbe verfügen kann.

 

1. Schritt – Das behinderte Kind wird „nicht befreiter Vorerbe“

D.h., der Erbteil des Kindes muß immer größer als der gesetzliche Pflichtteil sein! (Pflichtteil = Hälfte der gesetzlichen Erbquote)

Durch den Vorerben wird die Verschmelzung des Vermögens aufgehoben.

Nochmal: die Vorerbschaft muß immer höher sein als der Pflichtteil.

Im Beispiel oben beträgt der Pflichtteil 1/8 = 40.000 €.

Beläuft sich das Vorerbe z.B. auf 1/7 = 45.000 €, dann würde man durch die Inanspruchnahme des Pflichtteils geschädigt. Das Sozialamt darf den Erbteil daher nicht auf den Pflichtteil überleiten.

Diese Rechtsgestaltung ist zulässig. Das BSG akzeptiert die Rechtsprechung des BGH (Einheitlichkeit der Rechtsprechung).

 

2. Schritt - Nacherbeneinsetzung

Der Nacherbfall ist der Tod des behinderten Kindes.

Es wird festgelegt, wer nach dem Tod des Kindes das Erbe erhält: z.B. andere eigene Kinder, Kinder des Behinderten oder andere Familienangehörige.

 

3. Schritt - Dauertestamentsvollstreckung anordnen auf den Nachlaßanteil = (Vorerbenvermögen) bis zum Tod des behinderten Kindes

Es sollte auch ein Ersatzerbe bestimmt werden, für den Fall, das der andere Erbe vorher stirbt.

Vorteile der Dauer-Testamentsvollstreckung:

Wer wird Testamentsvollstrecker?

Es kann z.B. ein Familienangehöriger Testamentsvollstrecker werden. Der Vorteil ist, kein Fremder regiert in das Familienvermögen hinein.

Der Betreuer darf nicht Testamentsvollstrecker sein (Interessenkonflikt); der Nacherbe hingegen schon.

Vergütung:

0,3-0,5% bei DauerTestamentsvollstreckung der Erträge! Nicht des Vermögens.

Bei Abwicklung 2-6% jährlich.

 

Eines der Hauptprobleme ist es, die Handlungsbefugnis des Testamentsvollstreckers zu gestalten.

Der Testamentsvollstrecker muß dem behinderten Kind aus dem Nachlaß (= Vorerbenvermögen) etwas so zukommen lassen, ohne daß der Sozialhilfeträger dies überleiten kann.

Z.B: Reisen, Zuzahlung zu Brillen, Geschenke zum Geburtstag, Weihnachtsgeschenke, Kuraufenthalte, Besuche bei Verwandten, Fußpflege usw.

 

Während eine Stiftung nur Erträge ausschütten darf, darf man beim Vorerbe auch an den Vermögensstock heran.

 

Achtung! Warnung: Der Testamentsvollstrecker muß die Anordnungen auch ausführen!

 

Eine alternative Lösung zum Behindertentestament wäre eine Vermächtnislösung. Diese ist jedoch nicht durchentschieden vor Gericht! Es gibt keine höchstrichterliche Rechtsprechung.

Daher sollte liegt die Präferenz eindeutig auf dem Behindertentestament. Der BGH hat dieses in drei Entscheidungen (2012-2014) "abgesegnet". Es besteht eine gewisse Rechtssicherheit!

 

Weitere Links zum Thema:

Wikipedia

Familienratgeber

Lebenshilfe

Broschüre zum Vererben vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Broschüre zum Erbfall vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Mit einer weiteren Benutzung dieser Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Mehr in der Datenschutzerklärung.

  Ich verwende Cookies!
EU Cookie Directive plugin by www.channeldigital.co.uk