KEIN Eigenanteil bei nur leihweiser Überlassung von Hilfsmitteln

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Newsletter "Aktuelles Sozialrecht" - Nr. 01/2011 – April 2011
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

hier kommt nach längerer Zeit wieder eine Ausgabe des Newsletters „Aktuelles Sozialrecht“.

Anlass ist ein Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 24. Februar 2011, Az: S 16 KR 230/09, aus meiner anwaltlichen Praxis.

Kein Pauschaler Eigenanteil bei nur leihweiser Überlassung von Therapiedreirädern, Therapiefahrrädern & Co.

Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherungen haben in der Anlage zweier Gemeinsamer Rundschreiben aus den Jahren 1997 und 1998 festgehalten, welche Eigenanteile von den Versicherten zu erheben sind, wenn ihnen bestimmte Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden, die auch einen „Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens“ beinhalten. Ein typisches Beispiel ist hier das sog. Therapiedreirad oder Therapiefahrrad, welches den Gebrauchsgegenstand „Fahrrad“ beinhaltet. Die Regelungen wurden durch ein weiteres Gemeinsamens Rundschreiben vom 18.12.2007 übernommen.

§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V macht den Anspruch auf die Versorgung mit einem Hilfsmittel durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) davon abhängig, dass es sich dabei nicht um einen „Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens“ handelt.

Nun sind jedoch in der Praxis Hilfsmittel auf dem Markt, die mit einem solchen Gebrauchsgegenstand untrennbar verbunden sind, bzw. die einen solchen praktisch ersetzen. Beispielsweise können hier orthopädische Schuhe, behindertengerechte Autokindersitze oder eben Therapiedreiräder bzw. Therapiefahrräder genannt werden. Diese Gegenstände machen die Anschaffung der entsprechenden Alltagsgebrauchsgegenstände entbehrlich. Den Hilfsmittelempfängern werden mithin die entsprechenden Ausgaben erspart.

Um hier zu einem gegenüber nichtbehinderten Menschen gerechten Ergebnis zu kommen und um dem Grundsatz des § 33 SGB V gerecht zu werden, dass Gebrauchsgegenstände nicht von der GKV erbracht werden, sind von den Hilfsmittelempfängern gewisse Eigenanteile zu erbringen, die sich an der Höhe der ersparten Aufwendungen orientieren sollen. Bei Fahrrädern beläuft sich dieser Eigenanteil beispielsweise auf 255 EUR pro Stück.

Bereits 1998 hat allerdings das Bundessozialgericht in absolut nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass der Eigenanteil in einer Summe nur dann erhoben werden dürfe, wenn die GKV dem behinderten Menschen das Eigentum an dem Hilfsmittel überträgt. Nur wenn es dem Versicherten gehört und er es als Eigentümer frei verwenden und beispielsweise nach Beendigung der Verwendung gebraucht weiterverkaufen kann, kann die Rede davon sein, dass er die Aufwendungen für die Anschaffung des entsprechenden Gebrauchsgegenstand eingespart hat.

Wenn jedoch die Überlassung nur leihweise erfolgt, ist die Erhebung des Eigenanteils in einer Summe unzulässig.

In diesem Falle ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts allenfalls die Erhebung eines monatlichen Nutzungsentgelts zulässig, welches sich aus den Anschaffungskosten für den entsprechenden handelsüblichen Gebrauchsgegenstand berechnet und von dem Versicherten nur für die Dauer der Nutzung abverlangt werden kann.

In dem aktuell vom Sozialgericht Lüneburg entschiedenen Fall hatte die GKV unter Missachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts 2007 für die nur leihweise Überlassung eines Kindertherapiefahrrades den Eigenanteil in Höhe von 255 EUR von den Eltern gefordert, welchen diese in Unkenntnis der Rechtslage auch bezahlten. 2009 konnte das Fahrrad wachstumsbedingt nicht mehr weiter genutzt werden.

Die Eltern forderten daher von der GKV die Erstattung von 50 % des Eigenanteils zurück. Sie selbst stützten sich darauf, dass für das Fahrrad eines nichtbehinderten Kindes nach nur zweijährigem Gebrauch noch ein Wiederverkaufspreis von mindestens 50 % des Kaufpreises erzielt worden wäre.

Nachdem diese Begründung anwaltlich durch Bezugnahme auf die rechtlichen Ausführungen des Bundessozialgerichts untermauert wurde, kam es zu der gewünschten Verurteilung der GKV durch das Sozialgericht Lüneburg.

Das Gericht führte dabei zur Begründung aus, dass die Erhebung des Eigenanteils 2007 offensichtlich rechtswidrig war und der Betrag daher zu erstatten sei.

Dem gegenüber wäre jedoch die Erhebung einer monatlichen Nutzungsgebühr zulässig gewesen. Das Gericht ging von einer durchschnittlichen „Lebenserwartung“ eines Therapiefahrrades von 4 Jahren und dem bekannten Eigenanteil von 255 EUR aus. Es errechnete mithin ein monatliches Nutzungsentgelt von 5,31 EUR.

Von dem Erstattungsbetrag von 255 EUR zog es mithin 24 (Monate) x 5,31 EUR ab, sodass dem Kläger ein Erstattungsanspruch von 127,50 EUR zugesprochen wurde.

Praktische Auswirkungen:

Die leihweise Überlassung stellt bei hochpreisigen Hilfsmitteln wie Therapiefahrrädern die absolute Regel dar.

Und wie das Gespräch mit verschiedenen Nutzern solcher Hilfsmittel zeigt, stellt leider auch die rechtswidrige Praxis verschiedener gesetzlicher Krankenversicherungen die Regel dar, auch bei leihweiser Überlassung, den Eigenanteil in einer Summe bei Überlassung des Hilfsmittels zu fordern.

Wie das Beispiel des SG Lüneburg zeigt, würde man natürlich bei Nutzung des Hilfsmittels über die volle Lebensdauer (im dortigen Fall 4 Jahre) innerhalb von 4 Jahren auch den vollen Betrag von insgesamt 255 EUR zu entrichten haben.

Es stellt jedoch einen erheblichen Unterschied dar, ob man den Betrag in einer Summe oder in 48 Raten zu monatlich 5,31 EUR zu zahlen hat. Dabei versteht sich von selbst, dass bei Erreichen des Höchstbetrages auch dann keine weiteren Raten zu zahlen sind, wenn das Hilfsmittel noch weiter genutzt werden kann.

Nutzt man das Hilfsmittel hingegen (z.B. wachstumsbedingt) kürzer als die durchschnittliche Lebensdauer des Hilfsmittels es zulassen würde, zahlt man in den monatlichen Raten auch insgesamt nur einen Anteil entsprechend der tatsächlichen Nutzungsdauer.

Versicherte, die trotz nur leihweiser Überlassung den vollen Eigenanteil entrichten mussten, sollten von ihrer Krankenkasse die Erstattung des Eigenanteils unter Verrechnung mit einem angemessenen monatlichen Nutzungsentgelt für die bereits erfolgte Nutzungsdauer verlangen, welches sich entsprechend des oben angeführten Rechenbeispiels zusammensetzt. Gegen die Ablehnung eines solchen Antrags sind die Rechtsbehelfe des Widerspruchs und dann der Klage vor dem Sozialgericht zulässig.

Rechtsanwalt Christian Au


Guten Morgen, Sie dürfen den Newsletter gern unter Hinweis auf meine Homepage wiedergeben. www.rechtsanwalt-au.de Beste Grüße, Christian Au.

Der Hauptsitz der Kanzlei befindet sich in Buxtehude. Eine Zweigstelle führe ich in Jork-Estebrügge im „Alten Land“ zwischen Stade, Hamburg und Buxtehude.